Der Bundesfinanzhof (BFH) gewährt Bauunternehmern, die nachträglich als Umsatzsteuerschuldner für Bauleistungen in Anspruch genommen werden und statt ihres Auftraggebers Umsatzsteuer abführen sollen, Aussetzung der Vollziehung. Sie müssen daher ihre Umsatzsteuer bis auf weiteres nicht bezahlen, bis der BFH die Frage klärt, ob ihre nachträgliche Inanspruchnahme als Steuerschuldner rechtmäßig ist.
Hintergrund: Bei Bauleistungen gilt grundsätzlich das sog. Reverse-Charge-Verfahren. Es schuldet also nicht der Bauunternehmer die Umsatzsteuer, sondern sein Auftraggeber, wenn dieser Unternehmer ist. Im Jahr 2013 hat der BFH jedoch den Anwendungsbereich des Reverse-Charge-Verfahrens bei Bauleistungen, die gegenüber Bauträgern erbracht werden, eingeschränkt. Die Bauträger können jetzt ihre Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückfordern, während die leistenden Bauunternehmer die Umsatzsteuer nachzahlen müssen. Zwar genießen die Bauunternehmer an sich einen gesetzlichen Vertrauensschutz vor einer nachteiligen Änderung ihrer Umsatzsteuerbescheide; der Gesetzgeber hat diesen Vertrauensschutz aber in einer Gesetzesänderung im Jahr 2014 ausdrücklich ausgeschlossen.
Sachverhalt: Ein Bauunternehmer erbrachte in den Jahren 2011 bis 2013 Bauleistungen an einen Bauträger. Seine Umsätze wurden dem Reverse-Charge-Verfahren unterworfen, so dass der Bauträger (Auftraggeber) die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführte. Nachdem der BFH seine Rechtsprechung geändert hatte, forderte der Bauträger die Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück. Daraufhin forderte nun das Finanzamt vom Bauunternehmer (Auftragnehmer) die Umsatzsteuer für die Jahre 2011 bis 2013 nach. Der Bauunternehmer beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide.
Entscheidung: Der BFH gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung für die Jahre 2011 und 2012 statt:
n Zwar war die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in den Jahren 2011 und 2012 falsch, weil das Verfahren nach der Rechtsprechungsänderung im Jahr 2013 bei Umsätzen, die an einen Bauträger erbracht werden, grundsätzlich nicht gilt. Der Bauunternehmer blieb also Schuldner der Umsatzsteuer und hätte daher die Umsatzsteuer selbst an das Finanzamt abführen müssen.
n Grundsätzlich ist der Bauunternehmer vor einer Änderung seiner Umsatzsteuerbescheide auch geschützt, wenn die Änderung auf eine geänderte Rechtsprechung gestützt wird.
n Zwar hat der Gesetzgeber diesen gesetzlichen Vertrauensschutz im Jahr 2014 aufgehoben. Diese Aufhebung könnte aber gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoßen. Ob dies der Fall ist, muss nun im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Hinweise: Für das Jahr 2013 gewährte der Elfte Senat des BFH in diesem Verfahren keine Aussetzung der Vollziehung, weil seiner Auffassung nach der gesetzliche Vertrauensschutz nur vor nachteiligen Änderungsbescheiden, nicht aber vor nachteiligen Erstbescheiden schützt. Dies sehen die Richter des Fünften Senats des BFH anders und haben in einem weiteren Verfahren auch für das Jahr der erstmaligen Veranlagung Aussetzung der Vollziehung gewährt.
Nach den BFH-Beschlüssen bleibt vorerst offen, ob der gesetzliche Vertrauensschutz rückwirkend beseitigt werden durfte. Die von einer Nachzahlung betroffenen Bauunternehmer können jetzt mit Erfolg die Aussetzung der Vollziehung beantragen. Haben später der Einspruch oder die Klage keinen Erfolg, werden allerdings Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % fällig.
Grundsatzentscheidungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat vier Grundsatzentscheidungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft veröffentlicht. Danach kann eine Organschaft auch mit einer Tochterpersonengesellschaft begründet werden. Eine Organschaft zwischen zwei Schwestergesellschaften ist nicht möglich. Ein Hoheitsträger, der nicht Unternehmer ist, kann kein Organträger sein. Und bei einer Unternehmensübertragung auf zwei Gesellschaften eines Organkreises handelt es sich um eine nicht umsatzsteuerbare Geschäftsveräußerung.
Hintergrund: Die Organschaft führt zu einer Zusammenfassung von herrschendem Organträger und abhängiger Organgesellschaft. Der Organträger ist allein für den gesamten Organkreis steuerpflichtig. Die Organschaft ist von großer Bedeutung für Unternehmensgruppen ohne Recht auf Vorsteuerabzug, wie etwa im Bank-, Versicherungs-, Krankenhaus- oder Pflegebereich. Aufgrund der Organschaft ist es Unternehmen in diesen Bereichen möglich, untereinander Leistungen zu erbringen, die nicht steuerbar sind und damit nicht zur Entstehung von Vorsteuerbeträgen führen, die wegen des fehlenden Rechts auf Vorsteuerabzug nicht abziehbar wären.
1. Organschaft mit Tochterpersonengesellschaft möglich:
In dem ersten Verfahren ging es um die Frage, ob eine Tochterpersonengesellschaft Organgesellschaft sein kann. Eine AG erbrachte Leistungen an zwei Kommanditgesellschaften, an denen sie beteiligt war. Das Finanzamt hielt diese Leistungen für umsatzsteuerbar und forderte von der AG Umsatzsteuer. Die beiden Kommanditgesellschaften konnten die Umsatzsteuer aber nicht als Vorsteuer geltend machen, weil sie umsatzsteuerfreie Leistungen erbrachten und daher vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen waren.
Der BFH hielt eine Organschaft zwischen der AG als Organträgerin und den beiden Kommanditgesellschaften als Organgesellschaften in engen Grenzen für möglich. Vor-aussetzung ist allerdings, dass Gesellschafter der Personengesellschaft nur der Organträger und andere vom Organträger finanziell beherrschte Gesellschaften sind. Es dürfen also keine konzernfremden Personen beteiligt sein. Dies muss das Finanzgericht im zweiten Rechtszug noch überprüfen.
Hinweis: Bislang konnte nur eine Kapitalgesellschaft Organgesellschaft sein. Der BFH erweitert den Kreis der Organgesellschaften nun auch auf Personengesellschaften.
2. Keine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften
Im zweiten Fall ging es um eine GmbH, die an eine Kommanditgesellschaft Leistungen erbrachte; beide Gesellschaften hatten dieselben Gesellschafter und waren daher sog. Schwestergesellschaften.
Der BFH verneinte eine Organschaft zwischen den beiden Gesellschaften. Eine Organschaft kann nicht zwischen zwei gleichberechtigten Schwestergesellschaften bestehen, an denen dieselben Gesellschafter beteiligt sind. Es fehlt dann an der Beherrschung einer der Gesellschaften. Weder beherrscht die GmbH die KG, noch beherrscht die KG die GmbH.
Hinweis: Die Organschaft setzt also ein Über- / Unterordnungsverhältnis voraus. Der Organträger muss die Organgesellschaft beherrschen. Bei Schwestergesellschaften fehlt es an der Beherrschung. Es genügt nicht, dass der Gesellschafter auf die jeweils andere Gesellschaft einwirken kann.
3. Keine Organschaft mit Hoheitsträgern
Im dritten Fall hatte eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die nicht unternehmerisch tätig war, die bisher bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer auf eine neu gegründete Tochtergesellschaft (GmbH), deren Alleingesellschafterin sie war, ausgelagert. Die GmbH stellte ihr das Personal gegen Entgelt wieder zur Verfügung. Die Körperschaft und die GmbH gingen von einer Organschaft und damit von nicht steuerbaren Leistungen aus.
Dem widersprach der BFH: Eine Organschaft setzt eine eigene Unternehmerstellung des Organträgers voraus. Dies sei zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken unionsrechtlich geboten. Die Leistungen zwischen GmbH und der Körperschaft des öffentlichen Rechts waren somit steuerbar und auch steuerpflichtig.
4. Nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Rahmen einer Betriebsaufspaltung
Im vierten Fall übertrug ein Unternehmer sein Unternehmen auf zwei Personengesellschaften. Zwischen den beiden Personengesellschaften bestand eine Betriebsaufspaltung, aber kein Über- und Unterordnungsverhältnis (s. oben zu Fall 2). Der Unternehmer übertrug sein Anlagevermögen auf die Besitzpersonengesellschaft und das übrige Unternehmensvermögen auf die Betriebspersonengesellschaft, die die bisherige Unternehmenstätigkeit fortsetzte.
Der BFH bejahte eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung hinsichtlich des Verkaufs an die Betriebspersonengesellschaft. Insoweit entstand also keine Umsatzsteuer.
Hingegen stellte die Übertragung des Anlagevermögens auf die Besitzpersonengesellschaft keine Geschäftsveräußerung dar; sie war daher umsatzsteuerbar. Denn die Besitzpersonengesellschaft führte das Unternehmen nicht fort, und sie vermietete das Anlagevermögen auch nicht an die Betriebspersonengesellschaft, sondern überließ es unentgeltlich an sie.
Hinweis: Hätte zwischen den beiden Personengesellschaften eine umsatzsteuerliche Organschaft bestanden, wären beide Personengesellschaften als ein einziger Erwerber anzusehen und beide Verkäufe wären nicht umsatzsteuerbar gewesen. Die Organschaft scheiterte aber daran, dass weder die Besitzpersonengesellschaft die Betriebspersonengesellschaft beherrschte noch umgekehrt; es handelte sich vielmehr um zwei Schwester-Gesellschaften, zwischen denen keine Organschaft bestehen kann (s. oben Fall 2).